Das Megaritual: Verschwörungsnazis und die Macht der Paranoia Drucken
Geschrieben von: Baraka   
Donnerstag, den 23. Juni 2011 um 21:46 Uhr

Seit Wochen geistert eine neue, innovative Verschwörungstheorie durch die alternativmediale Verblödungswelt: „Das Megaritual“ am 26. Juni in Berlin, zum Start der Frauen-WM. Das ist auf jeden Fall eine schöne Aufmerksamkeitsbekundung für unseren hervorragenden Frauenfußball. Noch dazu von einer Seite, von der man es so gar nicht erwartet hat. Von unseren alternativen, akademisch und politisch unkorrekten Verschwörungstheoretikern. Soviel zum Positiven.

Jetzt zum Negativen: Diese „Megaritual“-Verschwörungstheorie hat es nämlich wirklich in sich. So ziemlich das komplette Verschwörungsspektrum wird abgedeckt: Vom False-Flag-Staatsterrorismus (den es tragischerweise auch noch wirklich gibt) über so ziemlich jede reale und erfundene (Pseudo- und Nicht-)Geheimgesellschaft als Drahtzieher bis hin zur hochmittelalterlichen Okkultismusparanoia.

 
Früher gingen böse Hexen, Ketzer, Geister, Kobolde und Nachtalben umher, die von fleißigen Inquisitoren, noch mehr allerdings von eifrigen Denunzianten gejagt wurden. Heute sind es noch bösere SatanistenOkkultistenIlluminaten, die umhergehen und „Megarituale“ durchführen, und von Verschwörungstheoretikern alternativmedial gejagt werden.

Es wäre ja auch zu schön gewesen, wenn sich SatanistenOkkultistenIlluminaten mit Katzen, Jungfrauen und Säuglingen begnügt hätten, wie es früher, in den guten alten Zeiten noch war. Als Vampire noch keine glänzende Haut im Sonnenlicht hatten, und mit Kruzifixen, Weihwasser und selbiger Sonne, dem braven Horuskind, geräuchert werden konnten.

Als Satanisten noch Gruftis hießen, und nicht Emos. Als Graf Zahl oder der Sandmann noch Helden waren, statt Jane Bürgermeister oder Alex Jones. Das waren die guten alten Zeiten. Als Geister noch von Scooby Doo gejagt wurden, und nicht von diesen zwei pubertierenden möchtegerncoolen Arschlöchern aus „Supernatural“.

Als SatanistenOkkultistenIlluminaten ihre finsteren Rituale, schwarzen Messen und blutigen Opferungen auf einsamen Friedhöfen in gespenstischen Vollmondnächten vollzogen. Die guten alten Zeiten. Heute begehen sie staatsterroristische Massenmorde als großes Opferfest für den Herrn der Finsternis und ihre und seine okkulte Macht.

So ist eben das Böse, ruchlos und verkommen und entartet. So hat es uns im Mittelalter der Vatikan, und heutzutage Hollywood gelehrt. So haben es uns auch die Nazis gelehrt, aber darüber spricht man nicht so gerne. Auch nicht als Verschwörungstheoretiker. Nein, Vatikan und „Illuminazis“ gehören ja zu derselben bösen Weltverschwörerlogenbande.

Soviel zur paranoiden Wahnwirklichkeit der Verschwörungstheoretiker. In der Tatsachenrealität drängt sich angesichts der Ideologien und Vorstellungen dieser Leute eine Frage ganz besonders auf: Warum, ach warum nur, ja warum nur übernehmen Verschwörungstheoretiker soviel vatikanisches und nationalsozialistisches Gedankengut?

Warum nur, ja warum nur ähneln sich insbesondere jene akademisch und politisch unkorrekten Verschwörungstheoretiker und der Nationalsozialismus, insbesondere in seinen völkischen und sozialistischen Ursprüngen so sehr? An dieser Stelle soll die Antwort kurz und bündig sein, weil sie letztlich auch so banal ist, wie sie klingt.

Die Antwort lautet nämlich: Weil die damalige nationalsozialistische Sozialreformation und die heutige verschwörungssubkulturelle Sozialreformation in ihrem Wesenskern identisch sind, dasselbe psychotische Persönlichkeitsmuster und denselben geistesgeschichtlichen Ursprung aufweisen. Paranoia, Autismus, Masochismus, ein ausgeprägter Weltrettungstrieb, sowie ein aggressiver, spalterischer Fanatismus und das dazu gehörende eindimensionale, lineare, dualistische, mechanistische Denken bilden das psychisch-kognitive Grundmuster eines gewöhnlichen Verschwörungstheoretikers.

Die unmittelbaren geistesgeschichtlichen Ursprünge heutiger und damaliger Verschwörungstheoretiker liegen in der Zeit der lutherisch-calvinistischen Reformation. Auch diese Bewegung war eine Sozialreformationsbewegung, die von Paranoia, Autismus, Masochismus, Dualismus und einem affektiv-kompensatorischen Aggressions- und Herrschaftstrieb bestimmt wurde, der ein ehrliches Emanzipationsbestreben pervertierte.

Gab es damals noch ein relativ einfaches Feindbild, nämlich die römische Kirche und geistliche Herrschaft, sowie natürlich Satan und seine Hexen, und überhaupt die Frau an sich, hat sich inzwischen dagegen ein äußerst vielfältiges Feindbild- und Sündenbock-Sammelsurium entwickelt, und mit diesem eine entsprechend heterogene, auch innerlich zerstrittene Verschwörungskultur, die sich in zwei grundsätzlich verschiedene, oftmals auch ideologisch unvereinbare Zweige trennen lässt.

Auf der einen Seite die akademisch und politisch korrekten Verschwörungstheoretiker, die sich selbst wohlklingende Namen und Titel wie „Wissenschaftler“, „Intellektuelle“, „Experten“ oder „Politiker“ geben. Auf der anderen Seite konstituiert sich eine akademisch und politisch unkorrekte Verschwörungsszene, die es sich besonders auch in okkultparanoiden Wahngebilden häuslich eingerichtet hat, sich also einer paranoiden Welt ausgeliefert sieht, die von finsteren, okkulten, satanistischen Geheimbünden und Weltverschwörungen beherrscht wird.

Die mit künstlichen Biowaffen-Viren und Haarp-Strahlen in das Gehirn unschuldiger Menschen eindringen und sie glauben machen, dass sie genau diejenigen seien, die sie sind, obwohl sie diejenigen sind, die sie nicht wären, wenn sie diejenigen sind, die sie zu sein glauben. Wer das jetzt nicht glaubt, sollte besser einmal aufmerksam in den Spiegel schauen. Das Wort „Spiegel“ hat den kabbalistischen Zahlenwert 132. Die Quersumme von 132 ist 6. Die 6 ist eine umgedrehte 9. Die Beweislast ist also erdrückend.

In dieses Weltanschauungsmuster mitsamt seiner wasserdichten Beweisführung gehört auch jene Verschwörungstheorie vom „Megaritual“ am 26. Juni in Berlin. Nur, und das ist der Haken daran, in der von Paranoia ungetrübten, oder nicht ausreichend getrübten Wahrnehmung der Tatsachenrealität bleibt von dieser Paranoia und ihrer Beweisführung nicht viel übrig.

 

 

Durchschaut man – so weit das einer empirischer Logik und apriorischer Dialektik folgenden Reflexion überhaupt möglich ist – die paranoide Denkstruktur und die krude, sie untermauernde (Anti-)Logik eines Verschwörungstheoretikers, kann es ganz und gar nicht überraschen, wenn auch jene grandiose apokalyptische Halluzination des Megarituals als billiger Schwindel entlarvt wird.

Überraschen, und zwar rundweg positiv, darf aber durchaus, dass es diese bis hierher so verdammte und verdammenswürdige Verschwörungsszene im weitesten Sinne ist, die selten, vereinzelt, aber eben existierend, auch über das kritische Potenzial verfügt, aus eigenem Antrieb solche Verschwörungshalluzinationen bloßzustellen. Und damit ferner auch der menschlichen Begabung zur Paranoia einen biologischen und anthropologischen Nutzen zuschreibt.

Nämlich den eines grundsätzlich notwendigen Misstrauens gegenüber Autoritäten im Rahmen hierarchischer Strukturen. Gegenüber Obrigkeit also, innerhalb von Herrschaftssystemen, und dies umso mehr, als diese sich im Geheimen verbirgt, um ihre Gewalt, die Grundlage ihrer Herrschaft, unkontrolliert und intransparent aufzubauen, zu steuern und auszuüben.

Dieses Misstrauen muss aber das Bewusstsein dafür einschließen, dass große Teile der Verschwörungsbewegung durch herrschaftliche, herrschaftslegitimatorische Weltanschauungen usurpiert und korrumpiert, und die meisten Verschwörungstheoretiker durch diese in „Verschwörungsnazis“ mutiert sind. In Pseudo-Sozialreformatoren also, die sich in ihrer weltanschaulichen und geistig-psychischen Grundstruktur von Nationalsozialisten und Calvinisten kaum unterscheiden.

Verschwörungsnazis interessiert nicht wirklich die Wahrheit, die sie großspurig zu verkünden vorgeben. Verschwörungsnazis sind getrieben von der Kompensation ihrer Ohnmacht, ihres Unterwerfungsdrangs, und der gleichzeitigen Verstärkung und Bestätigung dieses Drangs durch dessen Kompensation. Verschwörungsnazis suchen nach Macht, und finden diese primär, als ihre ideologische Grundlage, in der Macht der Paranoia.

Die Anteilnahme an der Macht der Paranoia ist der masochistische Genuss der eigenen Ohnmacht, die (Selbst-)Befriedigung (mit) der eigenen Angstsucht, die perverse Erfüllung durch Halluzinationen des Grauens, des Irrationalen in der Dunkelheit des Okkulten, des übermächtig Großen hinter dem Schleier der sichtbaren Wirklichkeit. Kinderfressende Hexen, blutsaugende Vampire, Brunnen- oder Volkskörpervergiftende Juden, Weltbeherrschende, alle Fäden innehaltende Freimaurer, Satanisten, Illuminaten. Der Angstcode ist immer derselbe, nur die Sprache ändert sich von Zeit zu Zeit, von Reformation zu Reformation.

Die Macht der Paranoia liegt in der bloßen, selbst unwahrscheinlichsten Möglichkeit eines angenommenen oder behaupteten Grauens, aufgrund des Fehlens von konkreten Beweisen für und gegen es. Deswegen ist die Paranoia der Vernunft überlegen. Immer. Überall. In einer Welt veräußerten Wissens. Deswegen setzen sich Irrtümer und Irrationalitäten immer viel schneller und leichter durch als Wahrheiten und Vernünftigkeiten. In einer Welt voll von als Wissen getarnter Paranoia.

Diese Paranoia ist aber immer auch subversiv, weil sie das selbsterzeugte Wissen, insbesondere das selbstreferentielle Elfenbeinturmwissen, den Konsens-Aberglauben der selbsternannten „Wissenschaft“ in Frage stellt. Und uns damit in Einsamkeit, Kälte, Unwissenheit und Orientierungslosigkeit stürzt, und darin schließlich erst mit ewigen Wahrheiten konfrontiert. Wahrheiten, die zwar mit Worten veräußert, aber nicht abgebildet werden können, die zwar Größe haben, aber Kleinheit nicht kompensieren können.

Paranoia ist der gleichzeitige Schöpfungs- wie Selbstzerstörungsmechanismus all unseres selbstreferentiellen Wissens, und damit auch all unserer Dummheit und antisubversiven Feigheit, unserer Unterwürfigkeit, wie Autoritäts- und Majoritätshörigkeit. Die Hölle ist das wahre Paradies für die subversiven Paranoia-Paranoiden. Das Himmelreich dagegen ist für die Einfältigen, Angepassten, einfach nur Paranoiden.

Deshalb ist das Okkulte nichts, vor dem man sich fürchten müsste. Außer man ist paranoid. Die Weisheit einer okkulten Antiparanoia macht aber eines deutlich und gewiss: Man ist nie paranoid genug, um sich vor den Erlösungslehren und Heilsversprechen der Licht- und Liebe-Bringer, der Müsli-Esoteriker und ihrer Verschwörungsvor- und nachhut wesentlich mehr zu fürchten, als vor der Dunkelheit und dem in ihr Verborgenen, das in sie Verdrängte, das Okkulte eben.

Ganz und gar nicht okkult aber, sondern vielmehr im Licht der Öffentlichkeit steht nun auch die Tatsache vom „Megaritual“ als enttarnter Hoax. Als stumpfsinnige Panikattacke, die auf der Klaviatur paranoider Empfindlichkeit von Menschen eine Weltuntergangsoper komponiert. Als ein kalkuliertes Spiel mit der Macht der Paranoia, der Macht des unwiderlegbaren Grauens. Ein Grauen, das sich selbst ankündigt durch seine eigene, die Vernunft vergewaltigende, und Menschen untereinander spaltende und gegeneinander ausspielende Fantasie.

Nichts hält die Menschen seit rund zweitausend Jahren mehr in Atem als apokalyptische, kataklysmische Fantasien und Ängste, als Halluzinationen des Weltuntergangs. Der Nervenkitzel des Grauens vereinigt sich mit der religiös missbrauchten Hoffnung auf etwas Neues, Besseres – oder noch Schlimmeres. Ernüchternd bleibt dagegen die Tatsachenrealität, die Herrschaftsrealität, mit ihrer Gewalt, mit ihrer Ohnmacht und Hilflosigkeit, mit der sie den Einzelnen zurücklässt, nach Erklärungen, Sinngebungen und Kompensationen, nach Macht und Stärke suchend.

Am Ende brechen dann alle kompensatorischen Hoffnungen zusammen. Weil sie es einfach müssen, aufgrund ihrer fragilen Natur. Reformationen enden in (Welt-)Kriegen, Massenmorden, Machtergreifungen und Diktaturen. Nur Verschwörungstheorien überleben, unwiderlegbar, und doch schon so oft enttarnt, als das, was sie sind: Halluzinogene Unterwerfungsorgien unter und durch die Macht der Paranoia. Dasselbe Schicksal ereilte nun auch das Megaritual, allem Aufjaulen seiner Verschwörungsjünger zum Trotz: Statt nuklearem Feuersturm bleibt auch hier wieder einmal nur heiße Luft um nichts.

Aber noch ist ja nicht aller Tage Abend, und der WM-Auftakt längst nicht überstanden. Also aufpassen, am Sonntag, um 19 Uhr. Hält man sich in oder um Berlin auf, sollte man schön dick Sonnencreme, Faktor 1 Milliarde, auftragen. Und sich vorsorglich unter einem Tisch verstecken. Das hat jedenfalls in den 1950er Jahren gegen Atombomben geholfen. Indiana Jones hat sogar im Kühlschrank überlebt. Nur für den Fall der Fälle.

Wenn nichts passiert, wissen die Verschwörungstheoretiker warum: Sie konnten es durch ihr wochenlanges Rumgejaule verhindern. Die böse Illuminaten-Satanisten-Elite hat kalte Füße bekommen. Kein Wunder: Verschwörungstheoretiker sind eine echte Macht. Voll von Licht und Liebe, Milch und Müsli. Mit so etwas legt sich besser keiner an. Obwohl so eine Atombombe keineswegs von schlechten Eltern ist.

Vielleicht passiert am Sonntag ja doch etwas. Wenn also um 19 Uhr landesweit ein lautes Aufstöhnen vernommen wird – nein, dann sind dies nicht die unseligen, hunderttausenden Opfer eines nuklearen Feuersturms, sondern tausende Verschwörungstheoretiker, die sich gerade einen pflücken. Und dabei in rasender Ekstase rufen: „Seht ihr, ihr Ungläubigen, wir und nur wir, haben es gewusst!“